Wearables im Graubereich: Wenn Wellness-Tracker zu Medizinprodukten werden
Warum smarte Armbänder und Ringe immer öfter regulatorisches Neuland betreten – und was das für Nutzer:innen bedeutet

Wearables sind längst ein fester Bestandteil des Alltags. Ob Fitness-Tracker, Smartwatches oder smarte Ringe – sie liefern Daten zu Schlaf, Herzfrequenz, Stress oder Aktivität und versprechen, die eigene Gesundheit besser zu verstehen. Doch mit der wachsenden Zahl an immer komlexer werdenden Funktionen verschwimmt die Grenze zwischen harmlosen Wellness-Tools und echten Medizinprodukten.
Ein aktueller Fall in den USA zeigt, wie sensibel dieses Thema ist. Wie The Verge berichtet, wurde der Hersteller Whoop von der US-Gesundheitsbehörde FDA (Food and Drug Administration) offiziell verwarnt. Grund: Ein neues Feature, das den Blutdruck anhand von Schlaf- und Aktivitätsdaten schätzt – ohne dafür die notwendige medizinische Zulassung zu besitzen.
Wellness oder Diagnose – wo liegt die Grenze?
Der Begriff Wellness ist nicht nur ein Marketing-Schlagwort. Für Hersteller bedeutet er eine klare regulatorische Abgrenzung: Solange ein Produkt nur "das Wohlbefinden fördern" soll und keine medizinische Diagnose stellt, sind die gesetzlichen Anforderungen wesentlich geringer.
Beispiele für reine Wellness-Features:
- Schrittzählung oder Kalorienverbrauch
- Stresslevel- oder Schlafphasenanzeigen
- Atemübungen oder Meditationsprogramme
Kritisch wird es, wenn ein Gerät Messwerte liefert, die einen medizinischen Rückschluss zulassen – etwa auf Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen oder beginnende Erkrankungen. In diesem Fall gilt das Produkt als Medizinprodukt und unterliegt deutlich strengeren Regeln.
Der Fall Whoop: Blutdruck ohne Messmanschette
Whoop hat ein Feature entwickelt, das anhand verschiedener Vitalparameter wie Herzfrequenz, Herzfrequenzvariabilität und Schlafmuster den Blutdruck schätzt. Die FDA stufte dies als problematisch ein, da Nutzer:innen solche Daten leicht als medizinisch belastbar interpretieren könnten – auch wenn sie "nur" eine Schätzung darstellen.
Risiko:
Wiederholt angezeigte “hohe Blutdruckwerte” könnten Menschen dazu bringen, eigenständig medizinische Entscheidungen zu treffen – etwa Medikamente abzusetzen oder zusätzliche Tests zu fordern – ohne ärztliche Diagnose.
Whoop argumentiert, dass es sich um eine Wellness-Funktion handelt, die lediglich Tendenzen aufzeigt. Die FDA sieht das anders und fordert eine klare Abgrenzung sowie eine Zulassung als medizinisches Gerät, bevor die Funktion weiter beworben werden darf.
Andere Hersteller in der Grauzone
Whoop ist kein Einzelfall. Immer mehr Anbieter bewegen sich in einem regulatorischen Graubereich, um Innovationen schnell auf den Markt zu bringen:
- Oura Ring:
Zeigt mit einem "Symptom Radar" an, wenn sich eine Erkältung anbahnen könnte – offiziell keine Diagnose, aber klarer Gesundheitsbezug.
- Apple Watch:
In der EU ist das EKG-Feature als Medizinprodukt zugelassen. Andere Funktionen wie die Blutsauerstoffmessung werden hingegen als Wellness-Tools deklariert.
- Samsung Health Monitor:
Bietet Blutdruckmessung in einigen Ländern bereits an, in anderen noch nicht – abhängig von der lokalen Zulassung.
- Blutzuckerüberwachung:
Erste Wearables arbeiten an der kontinuierlichen Glukosemessung, präsentieren die Daten aber oft als "Wellness-Scores", um rechtliche Auflagen zu umgehen.
EU-Regelungen: Strenger, aber komplexer
Während in den USA neue Funktionen oft schnell getestet und erst nachträglich reguliert werden, gilt in der EU ein anderer Ansatz – hier entscheidet die Medical Device Regulation (MDR), ob ein Produkt als Medizinprodukt eingestuft wird. Sie ist seit Mai 2021 in Kraft und zählt zu den strengsten Vorschriften weltweit.
Kernpunkte der MDR:
- Medizinischer Zweck:
Wenn ein Gerät zur Diagnose, Prävention oder Behandlung von Krankheiten gedacht ist, fällt es automatisch unter die MDR.
- Zulassungspflicht:
Vor der Markteinführung ist eine CE-Kennzeichnung erforderlich – inklusive klinischer Daten und Sicherheitsnachweise. Die CE-Kennzeichnung zeigt, dass ein Produkt alle EU-Vorgaben für Sicherheit und Qualität erfüllt.
- Datenschutz:
Viele Wearables haben Sicherheitslücken bei Bluetooth und Authentifizierung. Ab 2027 gilt der Cyber Resilience Act, der verpflichtende Cybersicherheitsstandards einführt.
- Klare Sprache:
Begriffe wie "heilt", "behandelt" oder "diagnostiziert" sind tabu, wenn das Produkt nicht entsprechend zertifiziert ist.
Beispiele:
Ein Fitness-Tracker, der nur Schritte zählt, ist kein Medizinprodukt. Ein Smartwatch-EKG mit Warnungen bei Herzrhythmusstörungen wird zu einem Medizinprodukt Klasse IIa.
Vorteile und Herausforderungen der EU-Vorschriften
Die strengere Regulierung in der EU schützt Verbraucher:innen besser, bringt aber auch Herausforderungen mit sich.
Vorteile:
- Klar definierte rechtliche Verantwortung
- Schutz vor irreführender Werbung
- Einheitliche Sicherheitsstandards
Herausforderungen:
- Aufwendige und kostenintensive Zertifizierungsprozesse
- Unterschiede in der Umsetzung zwischen den EU-Ländern
- Verzögerung bei der Markteinführung von Innovationen
Warum das Thema so wichtig ist
Wearables werden immer ausgefeilter und dringen zunehmend in Bereiche vor, die bislang Ärzt:innen vorbehalten waren. Für Konsument:innen bedeutet das:
Chancen:
- Frühzeitige Warnsignale für Gesundheitsprobleme
- Personalisierte Einblicke in den eigenen Körper
- Motivation für gesundere Lebensgewohnheiten
Risiken:
- Falsche Sicherheit durch ungenaue oder nicht validierte Daten
- Selbstdiagnosen ohne ärztliche Kontrolle oder Begleitung
- Fehlinterpretationen, die im schlimmsten Fall zu gesundheitlichem Schaden führen kann
Fazit: Klare Kommunikation ist entscheidend
Der Fall Whoop verdeutlicht, wie schwierig die Abgrenzung zwischen Wellness und Medizinprodukt ist. Während in den USA Hersteller zunächst frei agieren und erst später reguliert werden, setzt die EU auf strenge Vorgaben ab dem Markteintritt.
Für Unternehmen wird es zunehmend wichtiger, transparent zu kommunizieren, welche Funktionen rein informativ sind – und welche tatsächlich diagnostischen Charakter haben.
Für Nutzer:innen gilt: Wearables sind wertvolle Begleiter für Gesundheitsmonitoring und Prävention. Die Daten sollten jedoch immer im Kontext gesehen werden – und ärztliche Beratung bleibt unverzichtbar.
Referenzen
Publiziert
15.9.2025
Kategorie
Lifestyle
Experte
Wearables sind längst ein fester Bestandteil des Alltags. Ob Fitness-Tracker, Smartwatches oder smarte Ringe – sie liefern Daten zu Schlaf, Herzfrequenz, Stress oder Aktivität und versprechen, die eigene Gesundheit besser zu verstehen. Doch mit der wachsenden Zahl an immer komlexer werdenden Funktionen verschwimmt die Grenze zwischen harmlosen Wellness-Tools und echten Medizinprodukten.
Ein aktueller Fall in den USA zeigt, wie sensibel dieses Thema ist. Wie The Verge berichtet, wurde der Hersteller Whoop von der US-Gesundheitsbehörde FDA (Food and Drug Administration) offiziell verwarnt. Grund: Ein neues Feature, das den Blutdruck anhand von Schlaf- und Aktivitätsdaten schätzt – ohne dafür die notwendige medizinische Zulassung zu besitzen.
Wellness oder Diagnose – wo liegt die Grenze?
Der Begriff Wellness ist nicht nur ein Marketing-Schlagwort. Für Hersteller bedeutet er eine klare regulatorische Abgrenzung: Solange ein Produkt nur "das Wohlbefinden fördern" soll und keine medizinische Diagnose stellt, sind die gesetzlichen Anforderungen wesentlich geringer.
Beispiele für reine Wellness-Features:
- Schrittzählung oder Kalorienverbrauch
- Stresslevel- oder Schlafphasenanzeigen
- Atemübungen oder Meditationsprogramme
Kritisch wird es, wenn ein Gerät Messwerte liefert, die einen medizinischen Rückschluss zulassen – etwa auf Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen oder beginnende Erkrankungen. In diesem Fall gilt das Produkt als Medizinprodukt und unterliegt deutlich strengeren Regeln.
Der Fall Whoop: Blutdruck ohne Messmanschette
Whoop hat ein Feature entwickelt, das anhand verschiedener Vitalparameter wie Herzfrequenz, Herzfrequenzvariabilität und Schlafmuster den Blutdruck schätzt. Die FDA stufte dies als problematisch ein, da Nutzer:innen solche Daten leicht als medizinisch belastbar interpretieren könnten – auch wenn sie "nur" eine Schätzung darstellen.
Risiko:
Wiederholt angezeigte “hohe Blutdruckwerte” könnten Menschen dazu bringen, eigenständig medizinische Entscheidungen zu treffen – etwa Medikamente abzusetzen oder zusätzliche Tests zu fordern – ohne ärztliche Diagnose.
Whoop argumentiert, dass es sich um eine Wellness-Funktion handelt, die lediglich Tendenzen aufzeigt. Die FDA sieht das anders und fordert eine klare Abgrenzung sowie eine Zulassung als medizinisches Gerät, bevor die Funktion weiter beworben werden darf.
Andere Hersteller in der Grauzone
Whoop ist kein Einzelfall. Immer mehr Anbieter bewegen sich in einem regulatorischen Graubereich, um Innovationen schnell auf den Markt zu bringen:
- Oura Ring:
Zeigt mit einem "Symptom Radar" an, wenn sich eine Erkältung anbahnen könnte – offiziell keine Diagnose, aber klarer Gesundheitsbezug.
- Apple Watch:
In der EU ist das EKG-Feature als Medizinprodukt zugelassen. Andere Funktionen wie die Blutsauerstoffmessung werden hingegen als Wellness-Tools deklariert.
- Samsung Health Monitor:
Bietet Blutdruckmessung in einigen Ländern bereits an, in anderen noch nicht – abhängig von der lokalen Zulassung.
- Blutzuckerüberwachung:
Erste Wearables arbeiten an der kontinuierlichen Glukosemessung, präsentieren die Daten aber oft als "Wellness-Scores", um rechtliche Auflagen zu umgehen.
EU-Regelungen: Strenger, aber komplexer
Während in den USA neue Funktionen oft schnell getestet und erst nachträglich reguliert werden, gilt in der EU ein anderer Ansatz – hier entscheidet die Medical Device Regulation (MDR), ob ein Produkt als Medizinprodukt eingestuft wird. Sie ist seit Mai 2021 in Kraft und zählt zu den strengsten Vorschriften weltweit.
Kernpunkte der MDR:
- Medizinischer Zweck:
Wenn ein Gerät zur Diagnose, Prävention oder Behandlung von Krankheiten gedacht ist, fällt es automatisch unter die MDR.
- Zulassungspflicht:
Vor der Markteinführung ist eine CE-Kennzeichnung erforderlich – inklusive klinischer Daten und Sicherheitsnachweise. Die CE-Kennzeichnung zeigt, dass ein Produkt alle EU-Vorgaben für Sicherheit und Qualität erfüllt.
- Datenschutz:
Viele Wearables haben Sicherheitslücken bei Bluetooth und Authentifizierung. Ab 2027 gilt der Cyber Resilience Act, der verpflichtende Cybersicherheitsstandards einführt.
- Klare Sprache:
Begriffe wie "heilt", "behandelt" oder "diagnostiziert" sind tabu, wenn das Produkt nicht entsprechend zertifiziert ist.
Beispiele:
Ein Fitness-Tracker, der nur Schritte zählt, ist kein Medizinprodukt. Ein Smartwatch-EKG mit Warnungen bei Herzrhythmusstörungen wird zu einem Medizinprodukt Klasse IIa.
Vorteile und Herausforderungen der EU-Vorschriften
Die strengere Regulierung in der EU schützt Verbraucher:innen besser, bringt aber auch Herausforderungen mit sich.
Vorteile:
- Klar definierte rechtliche Verantwortung
- Schutz vor irreführender Werbung
- Einheitliche Sicherheitsstandards
Herausforderungen:
- Aufwendige und kostenintensive Zertifizierungsprozesse
- Unterschiede in der Umsetzung zwischen den EU-Ländern
- Verzögerung bei der Markteinführung von Innovationen
Warum das Thema so wichtig ist
Wearables werden immer ausgefeilter und dringen zunehmend in Bereiche vor, die bislang Ärzt:innen vorbehalten waren. Für Konsument:innen bedeutet das:
Chancen:
- Frühzeitige Warnsignale für Gesundheitsprobleme
- Personalisierte Einblicke in den eigenen Körper
- Motivation für gesundere Lebensgewohnheiten
Risiken:
- Falsche Sicherheit durch ungenaue oder nicht validierte Daten
- Selbstdiagnosen ohne ärztliche Kontrolle oder Begleitung
- Fehlinterpretationen, die im schlimmsten Fall zu gesundheitlichem Schaden führen kann
Fazit: Klare Kommunikation ist entscheidend
Der Fall Whoop verdeutlicht, wie schwierig die Abgrenzung zwischen Wellness und Medizinprodukt ist. Während in den USA Hersteller zunächst frei agieren und erst später reguliert werden, setzt die EU auf strenge Vorgaben ab dem Markteintritt.
Für Unternehmen wird es zunehmend wichtiger, transparent zu kommunizieren, welche Funktionen rein informativ sind – und welche tatsächlich diagnostischen Charakter haben.
Für Nutzer:innen gilt: Wearables sind wertvolle Begleiter für Gesundheitsmonitoring und Prävention. Die Daten sollten jedoch immer im Kontext gesehen werden – und ärztliche Beratung bleibt unverzichtbar.